Begegnungen am Bippener Bahnhof

 

Jugendliche aus Bippen erinnern sich . . . . .

Auf der Bahnstrecke Rheine-Quakenbrück verkehrten bis zum Frühjahr 1945 noch regelmäßig einige Züge. So wartete an einem Nachmittag ein Güterzug aus Rheine auf Gleis 3 des Bippener Bahnhofs, um einen entgegenkommenden Zug passieren zu lassen. Als Schutz vor Tieffliegern hatte dieser Zug, einen Wagen mit Drillings- und Vierlings- Geschützen angehängt. Wir Jugendlichen vom Bahnhof waren sehr neugierig und erkundeten die "Sache" gleich aus der Nähe.

Die wartenden Soldaten erlaubten uns auch sofort auf die Geschütztürme zu klettern. Als wir nun mit den Geschützen herumhantierten kamen plötzlich einige Flugzeuge im Tiefflug über die Bahnlinie. Sie hatten in Lulle einen Zug beschossen und waren im Abflug. Blitzschnell besetzten die Soldaten die Geschütze und feuerten sofort aus allen Rohren den Flugzeugen entgegen. Dieser Beschuß kam für die Flieger wohl überraschend, sie konnten nur mit großer Mühe abdrehen. Während wir Zuflucht im Bahnhof suchten, sahen wir wie ein Flugzeug getroffen wurde und mit einer Rauchfahne abdrehte. Später wurde berichtet, daß dieses Flugzeug im Emsland abgestürzt war.

Einige Tage vor dem Einmarsch der Alliierten Truppen in Bippen zogen große Mengen zurückweichender deutscher Truppen durch unser Dorf. Danach herrschte eine toten Stille. Nur vereinzelt waren noch Schüsse aus der Ferne zu hören. Die feindlichen Flugzeuge hatten Flugblätter abgeworfen, auf denen zu lesen war: "Ergebt euch in Bippen, sonst werden wir andere Maßnahmen ergreifen, und Bippen wird völlig zerstören". Alle die im Bahnhofskeller Zuflucht gesucht hatten waren der Meinung, die deutschen Truppen seien abgezogen, und der "Tommi" kommt. Damit uns nichts passiert, so dachten wir, währe es gut, jetzt eine weiße Fahne herauszuhängen.

Der Bahnhofsvorsteher und der damahlige Weichenwärter nahmen ein weißes Bettuch und zogen es am Fahnenmast auf dem Bahnhofsvorplatz hoch. Gerade in diesem Augenblick kam über die Bahnschienen aus Richtung Fürstenau eine Gruppe deutscher Soldaten. Diese, sechs bis sieben versprengten Soldaten gehörten wohl dem Infantrieregiment Großdeutschland an, welches zum größten Teil aus SS-Leuten bestand. Es folgten noch weitere Gruppen, zwei bis drei Mann stark, die über die Bahnlinie aus Fürstenau in Richtung Nortrup- Quakenbrück unterwegs waren. Plötzlich marschierte so ein Stoßtrupp, Gewehre im Anschlag, direkt auf uns zu. Wir bekamen Angst. Wir fingen an zu zittern. Was haben die mit uns vor?. Einer dieser Soldaten beschimpfte und bedrohte uns heftig. "Was seit ihr nur für Deutsche, was fällt euch ein, der Krieg ist noch lange nicht verloren. Wir Deutsche lassen uns nicht unterkriegen. Wenn ihr nicht sofort die Fahne entfernt, erschießen wir euch alle auf der Stelle". Während er schimpfte, stieß er immer wieder mit seinem Gewehr auf meines Vaters Rücken ein. Das war kein Spaß. Uns wurden bewußt, daß er aus seiner Drohung ernst machen würde. Nachdem mein Vater das "Weiße Tuch" eingeholt hatte, rieß der aufgebrachte Soldat die Fahne an sich. Im Laufschritt überquerte er die Bahnhofstraße. Das Tuch warf er in den Mühlenbach und verschwand über den Holländerweg in Richtung Nortrup.

Am Vormittag des 10. April 1945 erfolgte dann die Besetzung durch die englischen Truppen. Meine Eltern, meine Schwester, mein Bruder und unsere Nachbarn waren in unseren Bahnhofskeller geflüchtet. Auf der ganzen Bahnhofsstraße, von Wrigge bis über die Bahnschienen standen Millitärfahrzeuge. Es waren einige Panzer und viele Lastwagen mit großen Reifen, die sich hier für die Weiterfahrt in Richtung Döthen sammelten. Aus der Ferne dröhnte ein Maschinengewehr. Die englischen Soldaten suchten in Richtung Bahnhof hinter ihren Fahrzeugen Schutz. Wir standen im Eingang des Bahnhofkellers und beobachteten das Geschehen durch die Schlitze der Kellerlappen. Wir hörten und sahen wie britische Soldaten mit ihren Gewehren auf der Straße und dem Bahnhofsvorplatzes hin und her liefen. Plötzlich war ein schrecklicher Knall zu hören. Das Geschoß eines Panzers verfehlte nur knapp unseren Kellereingang und schlug neben uns in die Hausecke ein. Später sahen wir, daß ein großes Stück der Hausecke abgebrochen war. Wir bekamen panische Angst und befürchteten die Engländer würden noch eine Handgranate in unseren Schutzkeller werfen. Kurzentschloßen wickelten wir ein weißes Tuch um einen Besenstiel, öffneten die Holzklappen vorsichtig und hängten die Fahne nach draußen. Wir verließen den Keller und die Soldaten versammelten sich sofort um uns. Wir Jungen trugen Schirmmützen mit einem Edelweiß an der Seite, welches von den Soldaten als SS-Zeichen gedeutet wurde. Sie riefen immer wieder: "SS-Mann, SS-Mann". Meine Mutter fing an zu jammern: "Nein, das sind ja noch Kinder, sie sind noch viel zu jung". Ein Dolmetscher forderte unseren Ausweis und erklärte den erregten Soldaten, daß wir wirklich erst 14 und 15 Jahre alt waren. Mit einem kräftigen Gewehrhieb beförderten sie uns zurück in den Keller.

Anschließend durchsuchten die Engländer den Bahnhof nach verschanzten deutschen Soldaten. Hierbei verschwand aus unserer Wohnung auch meine Taschenuhr, die ich zur Konfirmation bekommen hatte. Über unserem Kochherd hingen eine ganze Reihe silberner Löffel, auch diese ließen sie mitgehen. Meine Mutter versuchte durch gutes Zureden die Löffel zu retten. Nur widerwillig rückte der Soldat das Besteck wieder heraus. Ein Löffel wurde von ihm mit den Worten: "Gut, trügge, eine, aber eine mit", als "Souvenir" eingesteckt.